Christoph Diekmann - Gespräche mit Akteur*innen der DDR-Opposition

Interview mit Christoph Diekmann (Hörfassung)

Was waren da die Gründe für die Unzufriedenheit in der DDR?

Na es gibt ja immer den Streit, woran ist die DDR zu Grunde gegangen? An der Misswirtschaft oder an der Lüge? Und ich sag dann immer an beidem. Jeder wie es braucht. Der Intellektuelle leidet natürlich mehr daran, dass die veröffentlichte Meinung eine Lüge ist, dass es Platten und Bücher, die man haben möchte nicht zu kaufen gibt, dass man überhaupt überall an Grenzen stößt – so an dieser allgemeinen Doppelzüngigkeit und an der Missqualität des ganzen Landes; auch an der Banalität der Staatsauffassung, dass nun alles diesem verkorksten und verbogenem Staatsmacht-Marxismus untergeordnet war. Um es mal salopp zu sagen: Die ganze DDR war einfach zu blöde. Aber ich glaube auch, dass es ganz viele Menschen gab, die auch ganz legitim daran gelitten haben, dass sie ihre Autoersatzteile nicht bekommen haben. Oder dass sie das Gefühl hatten, dass sie für das was sie leisten nicht entsprechend entgolten würden mit kaufbaren Waren. Es gab ja diesen großen Geldüberhang. An Geld war eigentlich kein Mangel, aber an Waren, die die Leute fröhlich gemacht hätten. Und deshalb war ich innerlich auch ein bisschen überkreuz mit Stephan Heym, als er nach dem Fall der Mauer dieses Heldenvolk nun beschimpfte, sie würden die Revolution an den Grabbeltischen westdeutscher Kaufhäuser verbuddeln. Ich dachte: worin jemand sein Glück findet ist ihm überlassen. Ich habe da nicht zu urteilen. Ich habe meine hundert Mark gleich zu 2001 getragen und einen Stapel Platten gekauft. Das ist auch Konsum. Selbst wenn`s Geistträger sind, die Schallplatten. Aber es ist auch Konsum.

War es dieses alltägliche Leben, die Gesamtsituation die diese Unzufriedenheit, oder gab es auch irgendwelche auslösenden Ereignisse? Sie sind ja auch in der DDR großgeworden. Als Kind ist man ja zufrieden. Das kommt ja erst allmählich.

 Also ich hatte immer wieder Glück. Ich war ja der einzige in der Klasse, der nicht bei den Pionieren war und dann bei der FDJ und ich hatte, und das ist ganz wichtig, eine Klassenlehrerin die ich sehr liebte und die war eine ganz Überzeugte, aber sie hat den Streit der Ideologien nicht auf dem Rücken eines Kindes, also nicht auf meinem Rücken ausgetragen. Also das macht sich an ganz einfachen Dingen fest. Ich war unter den besten Schülern und am Ende des Jahres war Fahnenappell und dann mussten die besten vortreten und bekamen Abzeichen für gutes Wissen und lernen in der Schule angeheftet. Mit Fahne und Wappen und so weiter. Konnte ich ja nun nicht kriegen. Und ich kriegte dafür immer ein schönes Buch, das sie selber ausgewählt hatte. „Abenteuer mit Archimedes“ und sowas, und „Justus von Liebig – Der große Chemiker“ und da war vorne so eine kleine Urkunde eingeklebt und unterschrieben mit Schulstempel und so. Das hat sie sehr gut abgebogen, obwohl ich ihre 100%-Statistik versaute. Und dann zog mein Vater mit uns in die Stadt und dort wurde ich ignoriert. Mir ist … also … . Ich versaute natürlich nach wie vor die Statistik und vor allem es näherte sich der Zeitpunkt, wo dass Abitur anstand. Und in der DDR gab es ja so ganz strikte Regelungen. Nur wenige konnten zur erweiterten Oberschule gehen. Ich wurde vorgeschlagen von meinem Klassenlehrer und ich wurde abgelehnt. Es regierte im Kreis Sannerhausen eine Kreisschulrätin, die sich geschworen hatte, kein Kirchenkind kommt zum Abitur und habe es den Durchschnitt 1,0. Meine Eltern legten dann Einspruch ein und die Dame sagte: Sie tun nichts für das Volk, dann tut die Volksmacht selbstverständlich auch nichts für sie.

Das hat sie direkt gesagt?

Das hat sie direkt gesagt. Dann hab ich mich sogar noch beworben in`ner Maschinenfabrik glaub ich, für Facharbeiter mit Abitur. „Nein…Abitur kommt nicht in Frage.“ Und ein Staat der ihnen sowas sagt, als Junge, ne, „Du darfst nicht studieren. Du zählst nicht.“ Gut. Und dann kam das mit der Filmvorführerei und die filmwürdigen Dramen, die sich dort abspielten, ließen den Entschluss in mir reifen, ich sag das extra ein bissel geschwollen, mit Menschen arbeiten zu wollen, weil ich erkannt hatte, dass der Mensch viel wichtiger ist als die Maschine. Ich fühlte mich berufen zum Theologiestudium und bewarb mich und wurde tatsächlich angenommen. Und da traf ich natürlich sehr viele, den es ganz ähnlich erging, wie mir, aber dadurch, dass das Studium befriedigend war und dies Milieu Kirche für mich eigentlich keine Beengung darstellte, sondern das Reich der Freiheit in einer nichtswürdigen Republik, war ich`s zufrieden mit meinen Lebensumständen.

Trotz dass sie beschränkt wurden auf Grund dieser, also der Kirche, dass ihnen gewisse Möglichkeiten in der DDR einfach verstellt wurden. War es für sie damals ein Verlust das erfahren zu müssen?

Ja natürlich. Verwechseln sie diese Zufriedenheit bitte nicht mit einem Einverständnis mit der DDR. Man ist oft zufrieden, wenn man sich täglich sagen kann: Ich kann nichts für die Lebensumstände die es mir verbieten dies und das zu tun und so weiter. Und es gibt ja in der Erinnerung an die DDR auch eine große Selbstgerechtigkeit: Man konnte ja nichts machen. Wir konnten ja nichts dafür. Man hätte ja…und so weiter. Damit kann man vieles entschuldigen. Ob man ein Roman nicht schreibt, oder gar nicht ausprobiert einen zu schreiben, weil man weiß: Krieg ich ja doch nicht gedruckt, ich bin ja zu kritisch. Oder das und das. Man lässt mich ja nicht. Das ist eine Zufriedenheit, die allerdings mit der Zeit fatal ist, weil man merkt, dass die Lebenszeit abläuft und man murkelt sein Leben so vor sich hin oder hinter sich.

Haben sie mit ihren Eltern drüber gesprochen, oder ihrer Familie? Haben sie politisch diskutiert?

Ja natürlich. Für meine Eltern war das sehr schwierig. Mein Vater war ganz kompromisslos. Er war kein glühender Anti-Kommunist oder so, aber durchaus pathetisch. Man muss sich entscheiden: Christus oder die Herren dieser Welt. Und das Bekenntnis steht über allem und wir verbiegen uns nicht und wir machen uns nicht gemein. Aber es ist sehr schwierig, wenn Eltern für ihre Kinder entscheiden und sagen, dass kommt ja gar nicht in Frage. Denn es war nicht mein Vater, dem das Abitur verwehrt wurde. Ich war es. Mir stößt es nach wie vor sehr bitter auf, dass Angela Merkel nicht nur in der FDJ war, sondern auch noch FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda. Das musste wirklich nicht sein. Sie ist ja auch eine begnadete Opportunistin. Sie schiebt das dann so weg und darf dann auf ein verständiges Nicken hoffen. Aber ihre Maxime war: Wieso soll ich mich aussondern lassen? Ich hab das und das vor, ich will das und das studieren also mach ich das. Und sie hatte Eltern, die ihr da den Rücken gestärkt haben und bei mir war das anders.

Also ihre Eltern haben sich recht neutral im Hintergrund gehalten?

Na es kam einfach nicht in die Tüte, auf deutsch gesagt, in die FDJ zugehen. Ich hab noch einen jüngeren Bruder, zwei jüngere Brüder, und der klene der ist 11 Jahre jünger als ich und war und ist ein begnadeter Pianist. Nun stellte sich die Frage ganz dringend: Wollen wir dem Stephan diese große Chance verbauen? Das ist sein Talent. Ganz offenkundig. Er muss Musik studieren. Geben wir ihn vielleicht doch in die FDJ rein und nehmens praktisch? Und fügen uns?

Ich hatte es so in Erinnerung, dass meine Eltern es tatsächlich erwogen haben. Meine Mutter meinte aber kürzlich: Nein! Nein! Sie hätten auch den Stephan nicht in die FDJ gegeben. Aber die Kreisschulräten, die gesegnete, hatte ihre wohlverdiente Pension angetreten und war ersetzt worden durch einen ganz vernünftigen Menschen. Und Stephan konnte zur Oberschule, zum Abitur und zum Musikstudium ohne in der FDJ zu sein.  Es hängt soviel vom Einzelnen ab.

Noch ein Beispiel für dieses … die Bedeutung des Einzelnen. Als ich anfing Theologie zu studieren am theologischen Seminar in Leipzig da droite die Armee und wollte mich haben. Und das theologische Seminar stellte ein Rückstellungsantrag für mich. Da das Seminar nicht als staatliche Hochschule anerkannt war geht das eigentlich gar nicht und die Faustregel lautet: in einem drittel der Fälle wird geantwortet: ja wir stellen zurück; in einem drittel der Fälle: Nein! Und er wird eingezogen und in einem drittel der Fälle keine Antwort. Das ist auch ein gutes Zeichen. Und dieser letzte Fall traf auf mich zu. Ich wurde nicht eingezogen und es wurde auch nicht geantwortet. Es hat wahrscheinlich irgendein verständnisvoller Mensch da den Schnellhefter mal eben woanders hin gepackt. Das war Wehrkreiskommando Sannerhausen und mein jüngerer Bruder, zwei Jahre jünger, der hat zwei Jahre nach mir am theologischen Seminar angefangen zu studieren, der war gemeldet in Stadt Illen, wo er eine Lehre machte, in Thüringen. Wurde rausgezogen aus dem Studium – anderthalb Jahre Armee, zwei Jahre später konnte er wieder anfangen. Da saß eben so ein scharfer Hirsch auf dem entsprechenden Stuhl.